Die ganze Wahrheit über die Hippies
Othilie, du wirkst ja eher ein wenig konventionell und nicht wie ein großer Hippie-Fan. Aber ich habe gehört, das stimmt nicht. Hast du denn diese Zeit in Erinnerung und kannst die ganze Wahrheit über die Hippies berichten?
Konventionell? Nun, genau das wollten die Hippies nicht sein (und ich bin mir auch gerade nicht sicher, ob ich diese Bezeichnung als Beleidigung einordnen soll, aber ich verbuche sie mal unter „jugendlichem Leichtsinn“). Weißt du, das ist der Vorteil, wenn man schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat. Oder ein paar Jährchen mehr. Ich habe ja schon vieles miterlebt, und die Hippie-Bewegung war eine der Strömungen, die ich vollen Herzens bejahen konnte. Du weiß ja sicher, dass wir Hexen es auch nicht immer leicht hatten, und daran war oft genug das verknöcherte Establishment schuld, das nichts neben sich dulden wollte, was anders war. Und gegen das „Andere“ wurde oft genug mit Gewalt vorgegangen.
Die Gesellschaft von innen heraus ändern? No chance!
Die friedlichen jungen Leute, von denen mehr und mehr sich von den Idealen der Hippies angezogen fühlten, glaubten nicht an eine Änderung des Systems von innen heraus. Viel zu verknöchert waren die Strukturen, viel zu eingefahren die Wege. Darum gab es für sie nur einen Weg: Dieser Gesellschaft, mit der sie sich nicht identifizieren konnten, den Rücken zu kehren, und eine eigene Gesellschaft zu gründen. Süß, oder? Damals dachte man tatsächlich noch, das ginge. Aber wir Hexen haben ja auch lange gehofft, friedlich mit euch „Normalos“ zusammenleben zu können.
Anders als die Gammler, von denen es in der Hippie-Zeit auch eine Menge gab, waren die Hippies keine Faulenzer, die einfach nur dem Leistungsdruck entfliehen wollten. Und sie waren auch nicht ausgesprochen politisch – nur das herrschende System empfand ihre Ablehnung der geltenden Normen mit Kleinfamilie, Lohnarbeit und fröhlichem Konsumieren als krassen politischen Angriff. Was taten mir die Hippie-Mädchen leid, die von ihren strengen Eltern eingesperrt wurden – deren einzige Sorge war ja die Unschuld ihrer behüteten Töchter, die sie nicht an einen der „langhaarigen Nichtsnutze“ verlieren sollten. Aber hörten sie ihren Ideen einmal zu? Die wenigsten taten das. Viel zu groß war die Angst vor dem Gerede der Nachbarn.
Wie sah die Wunsch-Welt der Hippies denn aus?
Angst ist hier ein gutes Stichwort, denn genau diese wollten die Hippies hinter sich lassen. Die Angst vor dem Vorgesetzten, den Eltern, den Nachbarn, dem Gerede, der Polizei, die Angst nicht mithalten zu können, dem Schicksal ausgeliefert zu sein und die Angst vor dem Fremden. Und was wollten diese jungen Menschen dagegen setzen? Ihre Welt war eine des Miteinanders, der Kooperation, der Gemeinschaft. Ohne Macht- und Besitzansprüche an andere Menschen – darum auch die vielbeschworene freie Liebe. Die Hippie-Bewegung war ein Experimentierfeld der Einfachheit, Individualität und Kreativität. Jeder Mensch sollte sich weiter entwicklen und seine eigene Seele, seinen Geist entdecken und entfalten. Der natürliche Mensch war das Ziel – und dabei vergaßen diese jungen Leute nur zu gern, dass sie selbst oft aus privilegierten Schichten stammten. In ihrem Style verwehrten sie sich jedoch dagegen – die teuren Klamotten waren oft löchrig und ranzig, um ihnen keinen hohen Stellenwert zu geben. Die einfachen, billigen Kleider hingegen wurden gehegt und gepflegt, um keinen Anschein von Armut zu erwecken.
Was fasziniert uns heute noch an der Hippie-Kultur?
Nun, die Kreativität dieser Zeit drückt sich natürlich immer noch in den Klamotten aus. Die wenigsten haben authentische Teile im Kleiderschrank, so dass für Hippie-Mottopartys auf Kostüme zurück gegriffen wird. Wer einmal bei einem solchen Hippie-Happening war, spürt den Spirit dieser Zeit immer noch. Denn obwohl die Bewegung letztendlich an der Realität gescheitert ist, tragen doch die meisten von uns den Wunsch nach den Hippie-Idealen noch in sich. Wenn man also auf bunten Kissen, eingehüllt vom Duft exotischer Räucherstäbchen mit lieben Freunden chillt und dabei der großartigen Hippie-Musik lauscht, ist es, als wäre kein einziges Jahrzehnt seit damals vergangen.
Ja, die Musik – hier im Haus lieben wir sie alle. Auch bei den Hippies die Musik ein Weg, ihre Ansichten und Botschaften nach innen und außen zu vermitteln. Großartige Hits namhafter Künstler, die auch heute noch in Radiosendungen und auf Partys gespielt werden, entstammen dieser Zeit. Scott McKenzies ‚San Francisco‘, Joan Baez, Bob Dylan, das ‚Seargent Pepper‘-Album der Beatles und die Songs des Woodstock-Festivals thematisieren die Suche nach Frieden, Liebe unter den Menschen und Freiheit im Handeln und Denken.
Ich mach mich jetzt auch mal frei und gehe an meinen Hexenkessel – Peace, mein Freund!